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Die rosa Taube

Die rosa Taube

Auf der Fensterbank saßen zwei rosa Tauben. So etwas hatte ich nie wieder gesehen. Um 8 Uhr stand die Sonne schon recht hoch am Himmel; es war Ende Februar. Jedes Jahr Ende Februar versammeln sie sich, um die Kraft zwischen ihnen zu offenbaren. Eine Kraft, die es in unserer Welt nicht gibt, die aber angezogen werden kann, wenn man es wirklich will.

Es war meine erste Reise zum Zentrum. Wir waren zu viert: Olga, Tatiana (möge ihre Seele im Himmel sein), mein Mann und ich. Er ging ohne ein „höheres“ Ziel, er hatte einfach Angst, mich mit dieser Kraft allein zu lassen. Wer weiß, wie sich das auf unsere familiäre Beziehung ausgewirkt hätte? Jetzt, sieben Jahre später, denke ich, dass er Recht hatte.

Aber wovon spreche ich eigentlich? Wir wohnten in einer Wohnung von Einwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion. Dieses charmante ältere Ehepaar vermietete zwei Zimmer in ihrer Wohnung. Ihre Kinder waren mit ihren Enkeln nach Berlin gegangen, weil sie mit dem Klima und den ständigen Spannungen nicht zurechtkamen. Die alten Leute blieben, und in jeder ihrer Erzählungen konnte man die Liebe, gemischt mit der Angst um dieses Land, spüren.

Damals war mir nicht klar, wo ich mich befand. Ich hatte keine Zeit zur inneren Einkehr. Neben den nächtlichen und täglichen Vorträgen des Kongresses besuchten wir meine entfernten Verwandten und die Freunde meines Mannes. Jeder Tag war vollgepackt mit Veranstaltungen, Informationen, neuen Gesichtern, alten Steinen und unglaublicher Nostalgie. Es war, als wäre ich hier geboren und käme zu Besuch in meine Heimat. Alles schien neu und gleichzeitig schmerzhaft heimisch zu sein.

Am ersten Tag fragten uns unsere Gastgeber bei einer abendlichen Tasse Tee nach dem Zweck unseres Besuchs. Wir teilten ihnen unsere Pläne mit. Sie erfuhren zum ersten Mal, dass es in ihrer Heimatstadt, nur ein paar Bushaltestellen entfernt, ein Zentrum gab. Für mich war es ein „Friedenszentrum“, für sie eine seltsame Einrichtung mit einer religiösen „Patina“. Ich wollte unsere Gastgeber mit meinen Zukunftsträumen nicht weiter belästigen und habe aufgehört davon zu erzählen.

Wir wohnten fünf oder sechs Tage in dieser Wohnung (ich weiß es nicht mehr genau). Am vorletzten Abend, als wir unsere Koffer packten, kam die Vermieterin plötzlich auf mich zu und sagte mit traurigen Augen, als ob sie sich von ihrer Tochter verabschieden würde: „Bitte beten Sie für uns. Es möge Frieden und Ruhe auf dieser Erde herrschen. Und nicht nur auf ihr, sondern auf der ganzen Welt!“.

Die rosa Taube saß lange Zeit vor dem Fenster. Sie hatte keine Angst vor den neuen Gästen, sondern spähte neugierig in den Raum.

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